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Als Einzelkind verbrachte ich eine unvergessliche, erlebnisreiche Kindheit. Wir hatten ein offenes Haus, Kontakte wurden gepflogen, und ich war von einem lieben Freundeskreis umgeben.
Meine Mutter konnte es kaum erwarten, festzustellen, ob ich singen kann. Mit ungefähr 2 Jahren stellte sie mich im Gastraum vor die Schank und sagte: Gitte, sing „Kommt ein Vogerl geflogen“. Und ich sang.
Im Kindergarten gefiel es mir recht gut. Frau Cetinsky war eine allseits beliebte Kindergartentante. Jährlich arrangierte sie Kinderfeste, wie z.B. zum Fasching.
Meine Mutter erzählte mir viele Märchen, meist Grimm’s Märchen, die sie mir auch vorgelesen hatte. “Der König Drosselbart“ war mein Lieblingsmärchen. Als ich etwas älter war, erfuhr ich weiters einige Sagen von ihr, wie die Nibelungensage.
Eine der Lieblingsbeschäftigungen war für mich das Puppenspielen. Meist spielte ich mit Reinhild Meditz. Zuerst besaß ich eine kleine Puppe mit einem Korbschlafwagen. Für meine geliebte große Puppe erhielt ich als Weihnachtsgeschenk einen Sitzwagen. Zum Schlafen konnte ich meine Puppe in einen Babykorb, der mit einem hellblauen Blümchenstoff über den Baldachin ausgestattet war, legen. Meine Mutter häkelte für sie Kleidchen und Jäckchen. Die in der Nachbarschaft wohnende Schneiderin, Frau Fabian, nähte für meine Mutter und mich die Kleider. Wenn ein Stück Stoff übrig blieb, nähte sie auch für meine Puppe ein Kleiderl.
Das Fahren mit dem Dreirad machte mir ebenfalls großen Spaß. Bei der Kegelbahn war eine Hutsche angebracht, auf der ich einen tollen Zeitvertreib hatte.
Von den Obstbäumen aß ich am liebsten die Kraglbirlein (Nagowitzer), die auf der Wiese lagen. Ich stieg nie auf einen Baum.
Schräg gegenüber bei der Familie Kraker kamen viele Kinder zusammen. Gegen Abend wurde im sehr großen Garten Räuber und Gendarm gespielt. Dabei habe ich mich hin und wieder beteiligt. Die meiste Zeit beobachtete ich aber die anderen Kinder, die älter als ich waren beim Spiel. Man lief und versteckte sich hinter den großen Bohnenstangen.
Am Nachmittag ging ich mit der kleinen Gudrun dieser Familie mit dem Sitzwagen spazieren, weil es mir Freude machte. Frau Kraker freute sich darüber, weil sie dadurch entlastet war.
Auf die Garderobe wurde im Allgemeinen großen Wert gelegt. Unter den Gottscheer Frauen war das Handarbeiten üblich und sehr beliebt. Meine Mutter strickte sogar Kleider für sich und mich. Manche Kleider, meist weiße Sommerkleider, wurden mit schönen, bunten Mustern bestickt. Es gefiel mir, wenn ein Kleid eine Blumenstickerei hatte. Bei der Firma BATA bewunderte ich die Schuhe in der Auslage. Vor Ostern bekam ich auf jeden Fall ein Paar neue Schuhe. Dabei gab ich den schwarzen Lackschuhen den Vorzug.
Von unserem Zuhause hatten wir einen kurzen Weg in die Hauptstrasse. Beim Delikatessengeschäft Hönigmann fiel mir der Duft der Salami auf. Meine Mutter kaufte Schinken und andere gute Esssachen. Meine ersten Ohrringe bekam ich bei Herrn Konrad Rom in seinem Juwelier- und Uhrengeschäft. Die Löcher in die Ohren hatte er mir mit einem kleinen Gerät, in welchem eine Nadel versteckt war, problemlos gestochen.
Stoffe kauften wir sehr oft bei Herrn Schaffer in der Hauptstraße ein. Aufmerksam beobachtete ich ihn wie er einen Stoffballen nach dem anderen umher schwang und uns zeigte. Auch Herr Perz in der Nebenstraße bemühte sich in seinem Geschäft sehr, uns viele Stoffe zur Wahl vorzulegen. Er war immer gut gelaunt.
Herr Hönigmann (Jureisch Josche) führte ein sehr schön ausgestattetes Schuhgeschäft. Seine Ehefrau und er waren, wenn wir am Nachmittag kamen, immer anwesend. In der dazugehörigen Schusterei wurden Stöckelschuhe feinster Art hergestellt. Da meine beiden Tanten kleine Schuhgrößen hatten, ließen sie ihre Schuhe dort anfertigen.
Bei Mamà gab es um 4 Uhr stets eine gute Jause mit Malz-Zichorienkaffee wie z.B. mit Butterbrot und Schinken, einem Strudel oder Bäckereien. Es wurde nur Weißbrot gegessen. Manchmal wurden bei Frau Marek Mehlspeisen geholt. Meine beiden Tanten Kamilla und Leontine wohnten auch dort, so dass wir bei der Jause gemütlich beisammen saßen. Papà, pensionierter Oberlehrer, war das angesehene Oberhaupt der Familie. Er brachte mir in der 1. Klasse Volksschule das Lesen bei.
Sehr gerne kehrte meine Mutter mit mir in die vornehme Kaffeekonditorei der Frau Marek ein. Sie war die Chefin und eine sehr elegante Dame, besaß außerdem eine Zuckerbäckerei und eine Bäckerei. Ein „Gefrorenes“ (Speiseeis) mit Hohllippen schmeckte mir besonders gut. Über das gläserne, wunderschöne Eingangsportal staunte ich jedes Mal.
An heißen Sommertagen zogen wir es vor, in die Badeanstalt an der Rinse zu gehen. Meine Mutter versuchte, mir das Schwimmen beizubringen. Ich erlernte es aber erst später. Manche liebten das Bootfahren auf der Rinse. An verschiedenen Stellen gab es alte Stiegenabgänge, noch aus der Zeit, in welcher Gottscheerinnen am Uferrand Wäsche wuschen.
Die Sonntagsmesse besuchte ich mit meinen beiden Tanten. Nachher spazierten wir durch den gewölbten Durchgang des Schlosses in die lange Kastanienallee, wo wir ein wenig promenierten. Es war nett, Bekannte zu treffen und sich mit ihnen zu unterhalten.
Im Gasthaus empfing uns meine Mutter mit einer Trippe (ähnlich einer Kuttelflecksuppe, aber mit Paprika wie Gulasch) als Vormittagsjause.
Mein Vater war auch an Sonntagvormittagen mit dem Fotografieren im Atelier beschäftigt.
Dieses stand hinter der Villa im Garten. In einem Zubau war die Dunkelkammer für die Herstellung der Bilder untergebracht. Meine Omama unterstützte meinen Vater bei der Ausführung der Fotografien.
Ganz freie Nachmittage gab es nur an Sonntagen. Das war die Zeit für Ausflüge mit befreundeten Familien in die nahen Dörfer, wo wir herzlich empfangen wurden. Das Singen der Gottscheer und deutscher Volkslieder sind mir aus dieser Zeit im Ohr hängen geblieben. Die Verbundenheit zum Gottscheerischen wurde in mir dadurch gestärkt. Unter anderem wurden eigene Gulaschpartien im Freien veranstaltet. Mit einem Wagerl wurde der große schwarze Topf mit dem fertigen Gulasch befördert. Auf einem Feuer wurde es aufgewärmt. Wir waren mehrere Kinder und hatten untereinander großen Spaß. Wir konnten die Freiheit der Natur unbeschwert genießen. Das Spielen im hohen Farnkraut war für uns lustig.
Im Winter fuhr ich in meinem weißen Lammfellmantel eingehüllt mit meinen Eltern in einem großen Pferdeschlitten auf das Land, wo wir uns mit anderen Familien trafen. Das war doch etwas Besonderes für mich. Zu meiner Zeit waren die Winter sehr schneereich. Hinter unseren Häusern befand sich ein kleiner Hügel, wo ich rodeln konnte. Meine beiden Tanten zogen das Schifahren vor.
Wenn die Rinse zugefroren war, konnte man Schlittschuhfahren. Gerne schaute ich den Schlittschuhläufern von der oberen Brücke aus zu.
Da mein Vater ein Motorrad, Marke Indian, mit Beiwagen fuhr, unternahm er mit meiner Mutter und mir zwischendurch Ausflüge in die Umgebung.
Die Morobitzer Krempe mit den vielen Narzissen war für mich ein großes Erlebnis.
Mit meinen Großeltern Antonia und Josef Dornig, die in der Villa wohnten, hatte ich täglich Kontakt. An der Hausrückwand stand ein Kirschbaum, der sich nach oben rankte, so dass man vom Fenster aus Kirschen pflücken konnte.
Ich war ein gut erzogenes Kind. Scheinbar durch meine angeborene Neugier unternahm ich trotzdem Aktionen, die mir eigentlich verboten gewesen wären. Das Schminken meiner Tante Kamilla faszinierte mich sehr. Mit ungefähr 4 Jahren erkannte ich die Möglichkeit, heimlich in das Schlafzimmer meiner Tante zu schleichen. Ich kannte in der Psyche schon die Lade mit den Schminksachen und versuchte, mir die Lippen und Augenbrauen anzustreichen. Leider konnte ich die herausgenommenen Dinge nicht mehr ordentlich zurücklegen. Verzweifelt und weinend lief ich nach Hause. Meine Mutter war entsetzt, als sie mein rot-schwarz verschmiertes Gesicht sah. Kurz darauf kam schon meine Tante gelaufen, weil sie mich in der Wohnung nicht mehr fand. Man war zuerst erschrocken, hat dann aber nur gelacht.
Mein Vater hatte die Leica sozusagen immer bei sich und rief meist: „Gitte komm her!“ Und schon hatte er geknipst. So war ich eigentlich das Model für ihn. Manchmal holte er mich ins Atelier, um mich zu fotografieren. Als ich mich mit meiner Freundin Jutta Herbst als Dame verkleidete, holte er uns ins Atelier. Einige Male wurden wir fotografiert.
Da in der Stadt tote Angehörige zu Hause aufgebahrt wurden, war ich interessiert, zu den mit vielen, schönen Blumen geschmückten Aufbahrungen zu gehen. Mit einer Freundin kundschaftete ich aus, wann wieder einmal jemand verstorben ist. Dann machten wir uns schon auf den Weg dorthin. Natürlich wussten meine Eltern davon nichts. Dieses Interesse hatte ich nur einige Zeit. Als ich einmal ein kleines Kind in Spitzen gekleidet mit vielen Blumen rundherum sah, wurde ich nämlich sehr, sehr traurig und unternahm solche Besuche nicht mehr.
Zu Weihnachten wurde ich mit einer halben Geige gerade für mich passend beschenkt. Violinunterricht gab mir mein Vater. Nur beim Geigenspiel war er sehr genau, fast streng.
Die Erstkommunion war ein besonderer Festtag für mich. Anschließend gab es im Pfarrhof für alle Kinder eine gute Jause.
Mit meinen Eltern, aber auch mit meinem Vater allein, fuhr ich sehr gerne nach Laibach.
Mein Vater ging im Zug mit Vorliebe in den Speisewagen, weil er dort Spezialitäten zu essen bekam. Aber die Schildkrötensuppe wollte ich doch nicht kosten.
Wenn man etwas Besonderes kaufen wollte, musste man nach Laibach fahren. So war es mit dem Dreirad, das mir große Freude bereitete.
Meine Kindheit war wirklich eine sehr schöne und unvergessene, sorgenlose Zeit.
Alle Bilder: (c) Josef Dornig jun.
Brigitte (Gitte) Dornig als Baby im Kinderwagen (geb. am 10.7.1933), sowie als Kind unterschiedlichen Alters beim Spielen, im Fasching, bei der Erstkommunion, im Pferdeschlitten auf einer "Landpartie" und auf dem Fahrrad (1937-1939). Werbeabbildung: Photo Atelier Josef Dornig, Letztes Foto: Letzter Kinderfasching in der Stadt Gottschee 1941 mit Personen-Beschreibungen am Foto.