top of page
Gitte mit Eltern in nachdenklichen Gedanken wegen der bevorstehenden Umsiedlung.
 Gitte mit Mutter und Tanten.
Oben: Rann. Unten: Letztes Atelierfoto in Rann.

Bild 1, 2 und 4: (c) Josef Dornig jun.
Bild 3: Ansichtskarte aus der Nachkriegszeit
Die Familie Dornig kurz vor dem Verlassen der Stadt Gottschee sowie bei der Ankunft in Rann im Jahr 1942.

Mit einem Personenzug fuhren wir von Gottschee weg und mussten in Rann a.d. Sawe (Bresice) aussteigen. Unser Mobiliar und Inventar wurde mit einem Güterzug befördert.

 

Für die meisten gab es in der Untersteiermark eine arge Überraschung. Es war nicht möglich gewesen, den deutschen Gottscheern gleichwertige Wohnungen, Häuser, Bauernhöfe usw. zur Verfügung zu stellen. Die Eltern meines Vaters bekamen eine kleine Wohnung, die in Parterre und 1. Stock geteilt war. Das Haus des Fotografen in Rann war leer, innen beschädigt, gefrorenes Wasser im Heizkessel am Herd und sehr viel Mist.

Meine Eltern bemühten sich, das neue Zuhause unseren Bedürfnissen entsprechend zu renovieren.

Zu meinen Gottscheer Freundinnen, die auch in Rann ansässig waren, konnte ich neue Freundinnen dazu gewinnen.

 

Das friedliche Leben endete leider mit dem Tag, an dem die ersten Bomben fielen. Es dürfte ein Ostersonntag im Jahre 1944 gewesen sein. Durch die zunehmenden Fliegeralarme war das tägliche Leben sehr beeinträchtigt.

Wir Schulkinder wurden zu diversen Aktionen eingeteilt. Als Hauptschüler der 2. Klasse wurden wir auf einen Weinberg gebracht, um bei der Weinlese zu helfen. Vom gegenüber liegenden Berg fielen plötzlich Schüsse der Partisanen. Es wurde niemand verletzt.

Kahle Wiesenstücke mussten wir mit quadratischen Rasenstücken belegen. Wenn wir das Dröhnen der Bomber hörten, flüchteten wir in den nahen Wald, um uns zu verstecken. Tage zuvor hatten Frauen dort Stellungsgräben ausgeschaufelt. Meine Mutter war auch dabei. Für die Soldaten mussten wir einmal Johanniskraut, Schafgarbe und Spitzwegerich sammeln, trocknen und in der Schule abliefern.

All diese Aktionen wurden schließlich eingestellt.

 

Der Schulunterricht ist vom Schulgebäude in Baracken auf einem freien Gelände verlegt worden. Bei der Heimfahrt mit dem Fahrrad fühlte ich mich von einem Tiefflieger bedroht. Ich fuhr gegen eine Barackenwand, stürzte und rutschte unter einen stehenden Lastwagen, wo ich gleich Schutz suchte. In der Folge verbreitete sich eine allgemeine Sorge. Es stellte sich die Frage, was mit uns Gottscheern geschehen könnte, wenn der Krieg endet und ihn die Deutschen verlieren sollten.

In unserer Familie wurden verschiedene Gespräche geführt. Durch einen Bekannten hatten wir erfahren, dass der vorhergehende Fotograf, Herr Bavec, der ausgesiedelt wurde, ein sehr verbitterter Mensch geworden und auf uns sehr gehässig war. Schließlich sind wir in sein Haus eingezogen. Dies beunruhigte meine Mutter sehr, weshalb sie mit Unterstützung meines Vaters mit dem Einpacken von verschiedenen, wichtigen und wertvollen Dingen begann.

 

Den Rückzug des deutschen Militärs beobachteten wir mit sehr großen Ängsten. Einer der Soldaten mit leerem Lastwagen bot uns an, uns mit Gepäck über die Grenze zu bringen. Mein Vater durfte nicht weg. Er war wie andere Männer zum Volkssturm eingeteilt. Dieser war für die letzte Abwehr der Feinde, der Partisanen, vorgesehen. Meine Mutter wollte mit mir alleine Rann nicht verlassen.

Anfang Mai 1945 wurde die Lage immer kritischer. Am 5. Mai ergriff meine Mutter doch plötzlich die Gelegenheit, mit mir mit einem Frauen- und Kindertransport per Autobus von Rann wegzufahren. Leider erlitt der Gepäckswagen unterwegs einen Defekt, musste repariert werden und kam dann nicht mehr über die Grenze. Somit verloren wir unser Gepäck und besaßen nur mehr das, was wir bei uns im Autobus hatten. Zum Unglück war die Mittenwalder Geige meines Vaters, sein Herzstück, gut verpackt im Gepäckswagen und daher verloren. Dies hat meinen Vater sehr getroffen.


Eine Unterkunft erhielten wir Flüchtlinge in einem ehemaligen Kinderheim in Waiern bei Feldkirchen, Klagenfurt. Nach einigen Wochen kam mein Vater zu Fuß nach. Er erzählte uns, dass er auf der Flucht von einer Gruppe Partisanen aufgehalten wurde. Plötzlich erkannte er im Anführer den ehemaligen Fotogehilfen des Laibacher Fotogeschäftes, wo er sein Fotomaterial immer eingekauft hatte und fragte auf slowenisch: „Kennen Sie mich nicht mehr?“ „O, gospod Dornig“, war die Antwort. So bekamen mein Vater und sein Freund freies Geleit bis zum nahen Wald. Das war ein großes Glück!


Wie ich feststellen konnte, kam die Verpflegung im Heim von den Engländern. Von den Suppen mit dem spießigen Dörrgemüse konnte ich nur etwas essen. Alles andere war essbar. Mein Vater ging zu den in der Nähe liegenden Bauern und versuchte, bei ihnen etwas Brot zu kaufen. Außerdem gingen wir Schwammerl suchen. Im Hof des Heimes hatten wir mit anderen eine kleine Feuerstelle gebaut und zusätzlich etwas gekocht. Trotzdem sind wir alle abgemagert. Mein Vater bewarb sich bei einem Fotografen in Klagenfurt um eine Beschäftigung, die er auch erhielt. Unter der Woche schlief er in einer ziemlich zerbombten Wohnung einer Verwandten.


Im August 1945 konnten meine Eltern mit mir endlich nach Graz fahren, wo wir von meiner Tante aufgenommen wurden.

Graz, 15.11.2016 Brigitte Hübner-Dornig

Impressum:

Copyright der Memoiren: Brigitte Hübner-Dornig, 1933-2023

Alle Texte sind eine subjektive Darstellung der Zeitzeugin
Brigitte Hübner-Dornig.
Nicht kommerzielles Websiteprojekt von Mag. Nora Edelsbacher (Enkelin).
Alle Rechte sowie Fehler vorbehalten.

Made from PR-Architextur

bottom of page